Schule und Ausbildung vor dem Quantensprung: soziale Kompetenzen und Selbstmanagement werden überlebenswichtig im Beruf!

Was so bedrohlich klingen mag, ist für mich eine echte Chance: vom Leben in Mühsal kann ein kreativeres Spiel werden und aus der Pflicht eine Kür – WENN wir die kommende Digitalisierung politisch mitgestalten! Diese Perspektive möchte ich anbieten und etwas näher begründen.

Die Fakten: Der „Stadtanzeiger“ vom 17./18.2.2018 beschreibt die Arbeitswelt der Zukunft. Sie werde sich durch die Digitalisierung stark verändern. Und Siemens wird heute noch deutlicher. In den Nachrichten vom 18.2. meldet der Konzern, der aktuelle Abbau von 6900 Arbeitsplätzen sei in wenigen Jahren „eher eine Randnotiz“ im Vergleich zu den Auswirkungen der industriellen Digitalisierung! Untersuchungen der Universitäten Oxford und Lund zeigen, „dass durch die jüngsten Fortschritte in mobiler Robotik und künstlicher Intelligenz 47 Prozent der Arbeitsplätze automatisiert werden können“ in: DIE ZEIT vom 25.1.2018.

Im Klartext: da kann richtig was wegbrechen an Arbeitsplätzen. Und Studien belegen, die davon Betroffenen in den USA haben in der Regel Trump gewählt.

Das ändert sich: Schulen und Unis haben bisher vor allem Wissen vermittelt. Doch Wissen liefert künftig der Computer. Damit kann in der Vermittlung von abfragbaren Wissen nicht mehr der Sinn von Schule liegen (Finnland will deshalb jetzt die Fächer abschaffen).  Im Gegenzug wird der gemeinsame kreative Umgang mit Wissen immer wichtiger – UND der gedeiht nicht mehr unter Druck!

In der zukünftigen Arbeitswelt brauchen die Menschen vor allem soziale und fachübergreifende Kompetenzen wie Kooperationsfähigkeit und Selbstmanagement, berichtet die Denkfabrik der Agentur für Arbeit. Die Beschäftigten sollen Wissen innovativ und sinnvoll anwenden können in Situationen und für Aufgaben, für die es keine Lösungen mehr nach Lehrbuch gibt.  

Zu den gefragten sozialen Kompetenzen gehört dabei auch das Einfühlungsvermögen in andere Menschen. Dieses wächst aber nur zusammen mit dem Einfühlungsvermögen in sich selbst! Hier könnten künftige Beschäftigte zunehmend ein Gefühl für die eigene Würde entwickeln, so dass sie sich auf Augenhöhe zwar alles sagen, aber sich nicht mehr von oben herab dirigieren und denunzieren lassen. Das macht mir Hoffnung auf eine menschlichere Arbeitswelt in der Zukunft.

Das Problem: Bislang „konnten Dialogfähigkeit und Selbstwahrnehmung und -führung kaum gelernt“ werden in Schulen, Firmen und Universitäten, sagt der Leiter der Heiligenfeld-Kliniken, Dr. Joachim Galuska, in: „Resilienz. Kompetenz der Zukunft“ und ergänzt, dieses Defizit werde „unserer Gesellschaft noch schwer zu schaffen machen“, und zwar vor allem durch individuellen Burnout – und durch kollektive Dummheit, wie ich es nennen möchte, wenn wir unsere Welt weiter so vor die Wand fahren.

Achtung: die Fähigkeit zur Selbststeuerung ist NICHT mehr die Bereitschaft, nach Vorschrift zu funktionieren, wie „die Realität“ das eben verlangt!  Galuska beschreibt Selbsteuerung dagegen als eine „innere Achtsamkeit, seine Gefühle wahrzunehmen und mit ihnen umgehen zu können“ und sich „gemäß der eigenen Lebensvision selbst zu verwirklichen“.

Sie haben Recht, wenn Ihnen das seltsam vorkommen mag. Für mich zeigt es vor allem, wie wenig wir kaum auf die Zukunft vorbereitet sind. Offenbar verlangt die Zukunft etwas ganz anderes, als wir 200 Jahre lang für die Industriegesellschaft lernen mussten. Als der trad. Unterricht entstand, brauchte die Industrie verlässlich funktionierende Arbeitskräfte und der Staat Bürger, die brav nach Anweisung ihre Pflicht taten.

Im Unterricht lernen deshalb gleichaltrige Schüler beim gleichen Lehrer auf gleiche Weise in der gleichen Zeit mit den gleichen Fragen das gleiche Thema kennen, um dann die gleichen (richtigen) Antworten geben zu können: es geht weniger um „Bildung“ als um Konditionierung. Der Lehrer unterrichtet sein Fach und weiß, was richtig ist und bleiben wird. Er muss die Schüler anweisen, kontrollieren und ihre individuellen Abweichungen stets als Fehler ankreiden.

Die Suche nach Fehlern ist eine zentrale Aufgabe des Lehrers. Ein Schüler, der das erlebt hat, wird kaum noch Lust haben, etwas Neues auszuprobieren… Er ist erfolgreich zum Funktionierer und Pflichterfüller geworden – und wird das als Erwachsener auch immer verteidigen. Etwas anderes kann er sich nicht mehr vorstellen.

Seit ein paar Jahren versucht die Wirtschaft um 180 Grad umzusteuern und fordert die Schüler in den wenigen MINT-Fächern zu Experimenten auf (nachdem sie wenige Jahre zuvor noch das Turbo-Abi durchgesetzt hat). Ich glaube, dass die Lust auf Experimente nur in einer Schule gedeihen kann, die in allen Fächern mehr zum Ausprobieren einlädt…und auch Lehrer hat, die daran ihre Freude haben…

Die künftigen Beschäftigten müssen mehr sein als Maschinen. Sie brauchen persönliche Überzeugungen und Werte, Mut zum unabhängigen Denken und Mitgefühl, sagte der chinesische Unternehmer Jack Ma jüngst auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Wie diese Kompetenzen entwickelt werden können, kann die Hirnforschung inzwischen sehr genau benennen. Auf diesen Erkenntnissen baut die einjährige Weiterbildung zum Lernkultur-Coach für Potentialentfaltung bei Silke Weiss (www.lernkulturzeit.de) auf.

Die wichtigste Erkenntnis: Die künftigen Lehrer und Führungskräfte brauchen ein neues Selbstverständnis ebenso wie einen dialogischen Umgang miteinander, um zusammen Schritt für Schritt eine neue Lernkultur zu schaffen. Die bisherigen Be-Lehrer würden dabei zu lebendigen Prozessbegleitern, sagt Silke Weiss, und das mache in der Schule das „Leben zu einer spannenden Entdeckungsreise für Schüler UND Lehrer“.

Die inneren und äußeren, individuellen und gemeinsamen Aspekte des „Zirkels der nachhaltigen Veränderung“ verstehe ich ähnlich wie das Minimumgesetz von Justus von Liebig, wonach das Wachstum von Pflanzen durch die jeweils knappste Ressource eingeschränkt wird: Fehlt es der Pflanze an Wasser, können auch mehr Sonnenlicht und mehr Nährstoffe den Mangel nicht ausgleichen. Für Schulreformen heißt das: es braucht die Persönlichkeit der Beteiligten ebenso wie einen gemeinsamen Geist,  dialogische Kommunikation und den Raum und die Ressourcen dafür.

Und diese Erkenntnis des notwenigen Zusammenspiels dieser vier Aspekte ist neu für viele Schulleiter, Führungskräfte und Politiker…