Mit Kunst die eigene Würde wiederentdecken

Die Schule der sozialen Kunst fällt etwas aus dem Rahmen auf der Premiere der PicnicArtConvention  am 23. und 24.9.2017 am Rande des Platzes der Deutschen Einheit.

Hier treffen sich Kunstschaffende aus dem gesamten Ruhrgebiet, präsentieren sich und tauschen sich aus. Jeder Künstler hat von Oliver Kahl als Chef der kreativen Mitte im Kunstpavillon seinen Platz zugewiesen bekommen. Auf einem Green aus Kunstrasen stellt sich auch die Projektfabrik Witten vor. Ausgelegt sind mehrere Holzstäbe, ein kleiner Ball und eine Königskrone als Requisiten für spontanes Theaterspielen. An einer improvisierten Wäscheleine darüber sind Plakate aufgehängt, die Theateraufführungen ankündigen. Gestaltet sind die Plakate als komplexe Collagen zu vertrauten Stücken wie Schillers „Räubern“.

Beata Nagy und Dorit Remmert sprechen die Passanten direkt an und laden sie ein, zwischen „Theater/Requisite“, „Soziales“ und „Philosophieren“ auszuwählen. Die meisten Besucher zeigen auf die „Requisiten“: Ball, Krone und Stäbe. Der Ball scheint ihnen vertraut – und schon wird er dem Teilnehmer langsam und voller Würde übergeben als sei er unendlich kostbar. Der Besucher spielt mit und nimmt den Ball ebenso feierlich entgegen. Doch dann wird das Ding plötzlich behandelt, als sei es leicht wie eine Feder und ein wenig später so, also ob es ganz schwer ist. Das Spielen steckt an.

Auf einem Beistelltisch ist Schillers Zitat zu lesen, wonach „der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt“. Und das ist doch da, wo ich meine Arbeit spielerisch tun kann, fällt mir als begleitender Pate der Projektfabrik ein. Spielerisch kann ich sein, wenn mich etwas interessiert und ich etwas bewirken oder ausprobieren kann. Ich darf aber weder überfordert sein von meiner Aufgabe noch sollte ich unter Druck stehen, unbedingt etwas erreichen zu müssen. 

Was in Schule und Beruf eher selten vorkommt, stellen wir im Gespräch gemeinsam fest. Und allmählich bekommt für mich der Sozialkünstler Konturen. Er möchte Menschen wieder motivieren, die zwischen Schuler und Ausbildung nicht weiterkommen und in eine Apathie zu geraten drohen. Diese Menschen sollen wieder zu freudigen und bewußten Gestaltern werden indem sie etwas finden, was sie wirklich berührt und interessiert.

Offenbar findet man „sein Ding“ kaum in der Schule beim Pauken von Wissen, sondern eher, wenn man Erfahrungen machen kann, die das Herz höher schlagen lassen. Doch wo werden Heranwachsende eingeladen und ermutigt, sich auszuprobieren?

Die JobAct-Projekte der Sozialkünstler wollen mit ihrer Arbeit erreichen, dass Heranwachsende unter 30 Jahren eine berufliche Perspektive entdecken. Sie wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Jugendlichen wieder ein Gespür für sich entwickeln und sich für etwas begeistern können. „Die jungen Leute entdecken wieder ihren Willen und ihre Würde“, sagt Beata Nagy. Dieser starke Satz geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Offenbar können die klassischen Dramen etwas in uns wiedererwecken, was im Schulunterricht absterben musste, wenn die Stücke dort zu sachlich-distanziert-analytisch behandelt wurden, statt die dramatischen Sätze auch mal intensiv auf sich wirken zu lassen. Oder sie gar einmal selbst herauszuschreien! Um dann die eigene Lebendigkeit, ja Wildheit zu spüren, ohne dass es dazu eines Coachings bedarf oder einer Therapie.

Dabei macht auch soziale Kunst richtig Arbeit. Immer wieder muss geübt werden. Damit wird das Durchhaltevermögen der Teilnehmer herausgefordert. Das hartnäckige Üben ist neben dem Spielen ebenso ein Prinzip der Kunst wie die provozierte Überforderung, die die Teilnehmer über sich hinauswachsen lässt.

Auf besonderes Interesse der Passanten stößt die unkonventionelle Faust-Inszenierung im Wittener Wiesenviertel, die am 1. Oktober Premiere hatte. Es spielte das Quartiers-Ensemble, das aus Geflüchteten und Alteingesessenen besteht zusammen mit Wittener Musikvereinen.

Bei der Open Air-Aufführung wurden auch die Balkone der Anlieger genutzt. Damit wurde das Quartier zum Kunstraum, der bewußt handwerklich gestaltet und verschönert wurde von allen Beteiligten. Es entstand ein Gesamtkunstwerk ganz unterschiedlicher Menschen, die zu ihre Verschiedenheiten verbunden haben auf eine leichte, offene und sinnvolle Art.

Gemeinsam wurden sie so zum Lebenselixier für ihr Viertel.